Normen im Bauwesen – Fluch und Segen

Fakt ist: Der Normenausschuss Bauwesen im DIN betreute in 2024 knapp 2.600 Normen, Vornormen und Fachberichte. Insgesamt umfasst das deutsche Normenwerk sogar rund 3.900 Normen mit baurelevanten Bezügen. Es ist kaum möglich, die Übersicht zu behalten, welche Normen als anerkannte Regeln der Technik Bedeutung haben und welche nicht. Und genau das ist das Problem.
Anerkannte Regeln der Technik
Bauleistungen müssen den anerkannten Regeln der Technik entsprechen, sonst gelten sie als mangelhaft. Anerkannte Regeln der Technik sind aber nicht statisch, sondern entwickeln sich dynamisch. Unter den Begriff fallen alle wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Erfahrungen, die sich in der Praxis als richtig und brauchbar bewährt haben. Es gilt die grundsätzliche – gleichzeitig widerlegbare – Vermutung, dass DIN-Regelwerke die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Das muss aber nicht so sein, denn Normen können hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben, oder auch deutlich darüber hinausgehen.
Die mit den anerkannten Regeln der Technik verbundene unklare Definition des Bausolls hat viel dazu beigetragen, dass Baustandards von Jahr zu Jahr gestiegen sind. Heute werden die hohen Baukosten bemängelt und Normen als eine wesentliche Ursache der Baukostensteigerungen angesehen.
Normen mit baurelevanten Bezügen: Ein Überblick ist hier kaum möglich.

b.schaefer@bvbaustoffe.de
Gebäudetyp E
Mit einer Änderung des Bauvertragsrecht wollte die Ampel-Regierung zu mehr Klarheit beitragen. Vorgesehen war eine Regelung, wonach nur sicherheitsrelevante Normen als anerkannte Regeln der Technik gelten, alle anderen Normen aber nicht. Das vorzeitige Ampel-Aus verhinderte das weitere Gesetzgebungsverfahren. Zudem haben die Richter des BGH den Gesetzesentwurf vernichtend kritisiert. Dennoch will die neue Bundesregierung den Entwurf erneut aufgreifen und weiterentwicklen.
Zweiter Anlauf mit klarer Abgrenzung
Der bbs stand dem Gesetzentwurf zum Gebäudetyp E skeptisch gegenüber, da die Abgrenzung von verbindlichen und freiwilligen Normen nicht eindeutig war. Begrüßt wurde aber die Grundidee einer solchen Abgrenzung. Da der Begriff der anerkannten Regel der Technik dafür ungeeignet ist, sollte er im nächsten Anlauf ganz außer Kraft gesetzt werden. Dafür sind dann konkrete Festlegungen erforderlich, welche Normen bzw. Normenteile verbindlich zu berücksichtigen sind – verbunden mit der Option, die gleichwertige Erreichung des Gewünschten auch auf anderem Wege erreichen zu können. Für relevante Bauaspekte (z. B. den Schallschutz) kann der Gesetzgeber außerdem klare Mindestanforderungen festlegen.
Damit wäre allen Seiten gedient: Das DIN könnte weiterhin Norm für Norm auf den Markt bringen, ohne damit den Mindestbaustandard zu verändern und Baukosten zu treiben. Durch ein klares Bausoll würden zahlreiche Rechtsstreitigkeiten vermieden. Durch freiwillige Vereinbarungen zwischen den Baubeteiligten könnte vom Bausoll jederzeit nach oben abgewichen werden. Es wären Kosteneinsparungen für das Bauen zu erwarten, da die Wirtschaft ihren Fokus auf die Erarbeitung von Basisnormen und deren Umsetzung konzentrieren könnte. Bleibt zu hoffen, dass die neue Bundesregierung diese Potenziale heben wird.
Neue bauprodukte-verordnung
Für harmonisierte Produktnormen, die in den nächsten Jahren unter der neuen Bauprodukte-Verordnung entstehen, stellt sich die Frage der anerkannten Regeln der Technik nicht: Die harmonisierten Normen sind verbindlich einzuhalten, da sie nach dem Verständnis der EU-Kommission zum Rechtssystem der Europäischen Union gehören.
Links
↗ bbs-Position zur Festlegung von Umweltmerkmalen bei Bauprodukten
Botschaften
‒ Gebäudetyp E rechtssicher ausgestalten
‒ Anforderungen der EU-Verpackungsverordnung reduzieren